Afrikas Mühen mit der Demokratie und das Versagen des Westens

Loyalitäten entlang ethnischer Grenzlinien (Bild: Kurt Pelda)
Loyalitäten entlang ethnischer Grenzlinien (Bild: Kurt Pelda)

Afrikas Mühen mit der Demokratie und das Versagen des Westens
Auf dem Schwarzen Kontinent mehren sich wieder autoritäre Tendenzen
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte die Demokratie in Schwarzafrika grosse Fortschritte gemacht. Nun sind aber wieder vermehrt autoritäre Tendenzen zu beobachten. Der Westen schaut Wahlbetrug, Putschen und Menschenrechtsverletzungen meist tatenlos zu.
Von unserem Korrespondenten Kurt Pelda
Westliche Journalisten sehen sich auf dem Schwarzen Kontinent oft mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien Afrika-Pessimisten und eurozentristisch. Die Kritik kommt manchmal von Afrikanern, sehr häufig aber von weissen Entwicklungshelfern. Die ausländischen Journalisten sähen permanent schwarz und blendeten die positiven «News» einfach aus. Sie beurteilten zum Beispiel Afrikas junge Demokratien nach Massstäben, die sich in Europa oder Nordamerika anlegen liessen, aber sicher nicht südlich der Sahara.
Rassismus der unterschiedlichen Ellen

Wenn ein afrikanischer Präsident wieder einmal Wahlen zu seinen Gunsten fälscht oder sich unverfroren aus der Staatskasse bedient, gebietet es die politische Korrektheit den (meist weissen) Beobachtern, die Dinge möglichst nicht beim Namen zu nennen. Der Urnengang habe internationalen Standards nicht genügt oder das betreffende Land habe bei der «good governance» noch Defizite, ist dann verharmlosend von ausländischen Wahlbeobachtern, Diplomaten oder Entwicklungshelfern zu vernehmen.
Demokratie-Indes der 48 schwarzafrikanischen Staaten (nach Bevölkerung gewichteter Mittelwert). Die gesamte Skala läuft von 2 bis 14. Tiefere Werte bedeuten mehr, höhere Werte weniger Demokratie.
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Demokratie-Indes der 48 schwarzafrikanischen Staaten (nach Bevölkerung gewichteter Mittelwert). Die gesamte Skala läuft von 2 bis 14. Tiefere Werte bedeuten mehr, höhere Werte weniger Demokratie. (Bild: Freedom House, eigene Berechnungen)
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Afrikas Staaten sind seit 40 bis 50 Jahren unabhängig und wollen vom Westen als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden. Zu Partnerschaften gehört auch das Recht auf Kritik. Diese ist natürlich nicht immer ganz unproblematisch, vor allem wenn sie von ehemaligen Kolonialmächten kommt. Wer aber als Weisser bei der Beurteilung afrikanischer Demokratien und Menschenrechtsverletzungen mit anderen Ellen als bei sich zu Hause misst, macht sich des umgekehrten Rassismus schuldig. Wenn Homosexualität – wie in den meisten afrikanischen Ländern – strafbar ist, Albinos reihenweise Mordanschlägen zum Opfer fallen (wie in Tansania) oder «Hexen» auf dem Scheiterhaufen landen (wie in Kenya), darf man Regierungen, die solches zulassen, getrost an den Pranger stellen.
Wenn der Staat nichts oder wenig gegen diese zum Teil an das Mittelalter erinnernden Praktiken unternimmt, kann man füglich von Rückständigkeit sprechen. Eurozentrismus hat damit nichts zu tun, denn die Menschenrechte sind universell gültig und dürfen auch in Afrika eingefordert werden. Immerhin haben alle Staaten auf dem Kontinent die afrikanische Menschenrechtscharta ratifiziert.
Was das Unterschlagen guter Nachrichten betrifft: Das Afrikabild im Westen wird immer weniger von Reportern und immer mehr von Hilfswerken geprägt. Nur noch wenige Medien können sich festangestellte Afrika-Korrespondenten leisten. Die südlich der Sahara stationierten freien Journalisten sind so schlecht bezahlt, dass sie von wohltätigen Organisationen abhängig zu werden drohen. Bei ihrer Berichterstattung, die in Afrika immer auch mit kostspieligen Reisen verbunden ist, sind sie oft auf Hilfswerke angewiesen: Bereitwillig übernehmen diese die Kosten für Flüge und Unterkunft, sie stellen Übersetzer und Fahrzeuge zur Verfügung und helfen beim Papierkrieg mit den lokalen Behörden.
Heikle Rolle der Hilfswerke
Die netten Gesten kommen aber nicht ohne Bedingungen. Von den Journalisten wird erwartet, dass sie über Hilfsprojekte berichten und Verantwortliche der Organisationen in ihren Beiträgen zu Wort kommen lassen. Wer sich nicht an diese ungeschriebenen Abmachungen hält oder es gar wagt, Negatives zu erwähnen, bekommt das schnell zu spüren. Kritik können sich deshalb oft nur noch die finanziell abgesicherten und damit unabhängigen Korrespondenten der Leitmedien leisten. Doch auch dies kann seinen Preis haben: Der Ehefrau des NZZ-Korrespondenten in Nairobi wurde von ihrem ehemaligen Arbeitgeber – einem Schweizer Hilfswerk – einmal mit Konsequenzen gedroht, falls der Journalist ein bestimmtes Projekt der Organisation in ein schlechtes Licht stellen sollte.
Seriöse Journalisten bemühen sich um Fakten. Sie haben weder Optimisten noch Pessimisten zu sein, sondern Realisten. Bei den Helfern und Katastrophen-Profis aus dem Norden verhält es sich anders: Sie haben ein Interesse, die Verhältnisse in Afrika in den dunkelsten Farben zu schildern. Nur so können sie im harten Kampf um die Gunst der Spender mithalten. Nicht selten überbieten sich die Wohltäter deshalb mit der Verbreitung von Schreckensmeldungen. Die krasse Übertreibung der Aids-Katastrophe, die sich in viel zu hohen und inzwischen nach unten korrigierten Infektionsquoten äusserte, ist nur eine dieser zynischen Fehlentwicklungen im Geschäft mit dem Elend. Hauptverantwortlich für das Zerrbild, das sich die Öffentlichkeit im Norden von Afrika macht, sind deshalb die Gutmenschen der Hilfswerke und nicht die Journalisten.
Wie überall gibt es auch aus Afrika Positives zu berichten. Es fragt sich nur, wie relevant die guten Nachrichten sind im Vergleich mit der grassierenden Korruption und Armut, dem Völkermord in Darfur, dem ungebremsten Bevölkerungswachstum oder dem fortschreitenden Raubbau an den natürlichen Ressourcen – um nur einige der schlechten «Neuigkeiten» aufzuzählen.
Zu den wenigen grossen Erfolgsgeschichten Afrikas zählt das Vorrücken der Demokratie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs stützten die verfeindeten Blöcke afrikanische Diktatoren und Kleptokraten jeglicher Couleur. Diese Rückendeckung fiel nach 1989 weg. Fortan waren viele autoritäre Herrscher gezwungen, sich ein demokratisches Mäntelchen umzulegen und Wahlen abzuhalten, um an westliche Kredite und Hilfsgelder zu kommen. In den meisten, wenn auch nicht allen afrikanischen Staaten geniessen die Bürger heute mehr persönliche Freiheiten als noch vor 20 Jahren. Die Medien werden weniger gegängelt, und private Organisationen wie Menschenrechtsgruppen – Mitglieder der sogenannten Bürgergesellschaft – kommen eher zu Wort. Dies ist ein unbestreitbarer Fortschritt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Demokratie die ersehnten wirtschaftlichen Verbesserungen – vor allem für die Masse der Armen – nicht gebracht hat.
Viele dieser Fortschritte erscheinen nun allerdings gefährdet. Seit mehreren Jahren ist eine Trendumkehr zu beobachten. Jüngstes Beispiel ist der stille Staatsstreich des nigrischen Präsidenten Tandja. Damit er nicht mehr an die verfassungsmässige Limite von maximal zwei Amtszeiten gebunden ist, liess Tandja das Volk – in höchstwahrscheinlich illegaler Weise – soeben ein neues Grundgesetz verabschieden. Damit erhält er das Recht, so oft zu kandidieren, wie es ihm beliebt. Ganz unverfroren versteckte Tandja eine Bestimmung in der neuen Verfassung, die seine im Dezember endende Amtszeit stillschweigend um drei Jahre verlängert. Gestärkt durch die Einnahmen aus den riesigen – vor allem von Frankreich ausgebeuteten – Uranreserven, konnte sich Tandja nicht nur über die heftigen Proteste im Inland, sondern auch über die Sanktionsdrohungen aus dem Ausland hinwegsetzen. Besonders hohl klang dabei die Kritik aus Paris. Frankreichs staatlicher Nuklearkonzern Areva fährt unbeeindruckt damit fort, mehr als 1,2 Milliarden Euro in das nigrische Bergwerk Imouraren zu investieren – die weltgrösste Uranmine im Tagbau.
In Senegal, einem sonst politisch stabilen und eher erfolgreichen Land, schickt sich der alternde Präsident Wade an, seinen Sohn Karim mit durchsichtigen Manövern zum Nachfolger aufzubauen. Zugleich gelang es ihm, die Amtszeit des Staatschefs von fünf auf sieben Jahre zu verlängern. In Mauretanien liess sich ein Putschistengeneral zum Präsidenten wählen. Mauretanien machte den Putsch in Afrika quasi wieder «salonfähig». Das westafrikanische Armenhaus fand Nachahmer in Guinea und Madagaskar.
China und die westlichen Komplizen
Wahlen werden in Afrika – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer mehr zum Hohn. Die Liste der gefälschten Urnengänge ist lang. Sie reicht vom wichtigen Erdölproduzenten Nigeria über Ostafrikas wirtschaftliches Zugpferd Kenya und Äthiopien bis hin nach Togo. Den offensichtlichen Wahlbetrug von Kenyas Präsident Kibaki beantwortete die Opposition Anfang 2008 mit brutalen ethnischen Vertreibungen. Die Polizei erschoss massenweise Demonstranten, und das Land stürzte ins Chaos.
Für einmal griff der Westen ein, denn Kenya ist zu wichtig, als dass man es fallenlassen würde. Mehrere westliche Staaten, darunter die USA, drohten den Scharfmachern auf beiden Seiten damit, dass sie keine Visa mehr erhielten und dass man ihren Kindern, die an westlichen Privatschulen oder Universitäten studieren, die Aufenthaltsbewilligung entziehen werde. Diese Drohungen führten zu einem Friedensabkommen und einer brüchigen grossen Koalition. Doch Kenyas politische Probleme bleiben ungelöst, und inzwischen glauben viele Beobachter, dass es bei den nächsten Wahlen im Jahr 2011 zu einer Neuauflage des Massenmords kommen wird. Manche Kenyaner warnen gar vor der Möglichkeit eines Genozids.
Diese anekdotischen Beobachtungen werden durch die jährlichen Untersuchungen der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Freedom House bestätigt. Freedom House stuft sämtliche Länder dieser Erde nach ihren politischen und persönlichen Freiheiten ein. Der daraus resultierende Demokratie-Index reicht von 2 (z. B. Schweiz, USA) bis hin zu 14 (z. B. Nordkorea, Sudan, Äquatorialguinea). Seit 2005 zeigt dieser Index wieder eine steigende Tendenz, d. h. eine Entwicklung weg von der Demokratie (vgl. Grafik). Man könnte dies mit dem verstärkten Engagement der Chinesen in Verbindung bringen. Auf der Suche nach Rohstoffen und Absatzmärkten ist Peking bereit, mit jedem auch noch so menschenverachtenden Regime in Afrika – wie dem Sudan oder Simbabwe – zusammenzuarbeiten.
Unglaubwürdig und verlogen
Diese These hält einer genaueren Betrachtung jedoch nicht stand. Für die jüngste Verschlechterung im Demokratie-Index von Freedom House sind vor allem Nigeria, Mauretanien, Senegal, Kongo-Kinshasa und Äquatorialguinea verantwortlich. Tatsächlich verfolgt China wichtige Wirtschaftsinteressen in Nigeria und Kongo-Kinshasa, doch das tun mindestens genauso westliche Länder. Teodoro Obiang, einer der übelsten Diktatoren auf dem Kontinent und Präsident des Erdölexporteurs Äquatorialguinea, wird von westlichen, hauptsächlich amerikanischen Energiekonzernen gestützt. Der Westen, allen voran die USA, hat sich hinter den kleptokratischen Präsidenten Kabila von Kongo-Kinshasa gestellt, unter anderem weil die amerikanische Freeport-McMoran im kongolesischen Süden die weltgrössten Kupferreserven ausbeuten darf.
Bei diesen Machenschaften ist der einzige Unterschied zwischen den westlichen Demokratien und den Rotchinesen rhetorischer Art: Während Peking das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten afrikanischer Partner hochhält, fordert der Westen Demokratie, Menschenrechte und weniger Korruption. Aber immer, wenn diese hehren Ziele mit wirtschaftlichen oder strategischen Interessen kollidieren, bleibt es bei Lippenbekenntnissen. Der mangelnde Wille, sich der autoritären Flut in Afrika entgegenzustellen, lässt die westliche Afrikapolitik unglaubwürdig und verlogen erscheinen.
NZZ

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