Hebamme ohne Grenzen
Warum die Berlinerin Jeanne Maddy in Sierra Leone und im Sudan half, Kinder zur Welt zu bringen. Und was sie dabei erlebte
Von Monika Funk
So ganz ist Jeanne Maddy noch nicht wieder zu Hause angekommen, hier in Prenzlauer Berg, wo die Leute in Cafés sitzen und überlegen, ob sie einen Latte Macchiato trinken sollen oder doch lieber einen Espresso. Wo junge Mütter ihren Nachwuchs Richtung Spielplatz schieben, den Kinderwagen vollbepackt mit Spielzeug und Fläschchen. “Die Mütter, die dort zu uns kamen, haben alles was sie überhaupt besaßen auf dem Kopf getragen.”
Jeanne Maddy spricht von Sierra Leone, einem der ärmsten Länder Afrikas, in dem noch vor wenigen Jahren der Bürgerkrieg tobte. Sechs Monate war die Hebamme dort für die Hilfsorganisation “Ärzte ohne Grenzen”. Im letzten Jahr schon war sie sechs Monate im Krisengebiet Darfur im Sudan, bevor die Lage zu unsicher wurde, es zu Übergriffen kam, sodass sich auch Hilfsorganisationen zurückziehen mussten.
Der Einsatz in Ländern, in denen es bei einer Geburt oft um Leben und Tod geht, in denen Menschen ums nackte Überleben kämpfen, hat Jeanne Maddy verändert. Mutiger sei sie wohl geworden, sagt sie. Und vieles, mit dem sich die Leute hier so alles aufhalten, kann sie nicht mehr ganz ernst nehmen.
Einmal für längere Zeit in Afrika leben, dort arbeiten, wollte die Wahlberlinerin schon lange. Sie hat afrikanische Wurzeln, ihr Vater kam aus Guinea zum Studium nach Dresden, wo sie auch aufgewachsen ist. Doch das allein war es nicht. “Ich wollte einfach was tun bei Menschen, die es nicht so gut getroffen haben wie wir in Europa. Vielleicht ein Stück des Glücks abgeben.”
Mit “Ärzte ohne Grenzen” vor Ort zu sein heißt Arbeiten mit einfachsten Mitteln, Umschalten auf “Dritte-Welt”. “Wenn da ein Ultraschallgerät war, das war schon Luxus”, berichtet Jeanne. Der Kreißsaal, der sie in Kebkabyia in Darfur erwartete, war kaum mehr als eine alte verdreckte Geburtsliege in einem kargen Raum. Sie baute die Station wieder auf, bildete Geburtshelferinnen aus, arbeitete mit den einheimischen Hebammen. Als Chefin in einer muslimischen Gesellschaft – nicht immer leicht. Dazu das tropische Klima. Und immer wieder das Knallen der Kalaschnikows auf den Straßen. “In den ersten Wochen fragst du dich schon öfter, was machst du hier eigentlich?”, sagt Jeanne. “Aber man hat gut zu tun, muss schauen, wie man alles organisiert und dann ist man auch schnell drin im Projekt.”
In Sierra Leone war Jeanne in der Stadt Bo als leitende Hebamme in einem Notfallkrankenhaus. Hierher wurden nur Schwangere gebracht, deren Schicksal und das ihrer Babys auf Messers Schneide stand. Sierra Leone hat mit die höchste Kinder- und Müttersterblichkeitsrate der Welt: Jede achte Frau überlebt die Geburt eines Kindes nicht, pro 1000 Geburten sterben 155 Säuglinge, berichtet Unicef. Erschütternde Zahlen, die die Hebamme mit Gesichtern verbinden kann: “Ich hatte Frauen, die waren schon sechs, sieben Mal schwanger und hatten immer noch kein Kind.”
Bis zu 130 Notfallgeburten im Monat wurden in der Klinik versorgt, nicht immer konnten die Ärzte und Hebammen die Frauen und Babys retten. Und das oftmals bei Komplikationen, die hierzulande kein Problem wären. Jeanne: “Wir mussten zusehen, wie uns malariageschwächte Frauen verstorben sind, einfach weil wir keine Blutreserven hatten.”
Durch die vielen früheren Schwangerschaften, aber auch wegen missglückter Abtreibungen, haben die Frauen oftmals starke Blutungen oder septische Schocks. Viele der ganz jungen Frauen leiden unter Eklampsien, schweren schwangerschaftsbedingten Krämpfen, die lebensgefährlich werden, wenn die Geburt nicht schnell eingeleitet wird. Bei Frauen, die als kleine Mädchen beschnitten und zugenäht wurden, ist die Geburt wegen des vernarbten Gewebes besonders riskant. Und nicht selten quälen sich Schwangere tagelang zu Hause unter der Geburt, weil die Familien kein Geld für den Transport in die Kliniken haben.
Die Frauen nicht mehr retten zu können, nur weil sie zu spät kamen, war besonders bitter. “Da kommen einem schon mal die Tränen”, sagt Jeanne. “Aber das darfst du nicht zeigen, sonst verlieren die Mitarbeiter den Respekt vor dir. Und dann sagt man sich, gut, die konntest du nicht retten, aber dafür sind zwanzig andere Frauen auf der Station, die nicht überlebt hätten, wenn wir nicht da gewesen wären.”
Das waren die vielen guten Momente. Wie der Fall einer jungen Frau, fast noch ein Mädchen, die schon tagelang unter der Geburt lag, das Kind in ihrem Leib längst tot. Endlich schaffte es ihre Familie ein Auto auftreiben, sieben Stunden brauchten sie zur Klinik. Mehr tot als lebendig kam die Frau in die Notfallstation – nur wenige Minuten später hatte ihr Martyrium ein Ende. Sie überlebte und erholte sich schnell. “Solche Situationen, in denen wir mit ein paar einfachen Handgriffen das Leben der Frauen retten konnten, das war schon ein besonders gutes Gefühl”, erinnert sich Jeanne.
Nicht nur viele schöne, auch kuriose Erlebnisse gab es. Da war etwa die Frau mit den Zwillingen. Eines der Babys hatte sie schon zur Welt gebracht, das andere aber wollte nicht kommen. Jeanne: “Die Patientin saß da auf dem Kreißsaalbett, stillte das eine Kind – und hatte Wehen. Wir haben dann die Geburt einge leitet, haben das zweite Kind geholt. Es war tatsächlich noch am Leben. Und drei Tage jünger als das andere.”
Ein drittes Mal los mit “Ärzte ohne Grenzen”? Jeanne Maddy kann sich das gut vorstellen, die Herausforderung hat ihren Reiz: “Vieles, was du da machst, darfst du als Hebamme in Deutschland gar nicht. Du musst viel selbstständiger arbeiten, lernst viel dazu. Für mich war es ein Glück, das zu erleben.”
Berliner Kurier,
Quelle: Hebamme ohne Grenzen