Das grosse Zittern vor der Spaltung
Von Johannes Dieterich, Johannesburg
Dem Sudan droht ein weiterer Krieg. Der Norden versucht mit immer neuen Mitteln, das Referendum über die Abspaltung des Südens zu verhindern. Man sorgt bereits vor: Weil bei einer Teilung des Landes die Südsudanesen ihr Bürgerrecht verlieren, werden in Juba neue Pässe ausgestellt.
Man sorgt bereits vor: Weil bei einer Teilung des Landes die Südsudanesen ihr Bürgerrecht verlieren, werden in Juba neue Pässe ausgestellt.
Weniger als drei Monate vor dem Volksentscheid im Sudan, in dem der christliche Süden des Landes über eine Abspaltung vom muslimischen Norden befinden soll, nehmen die Spannungen in dem afrikanischen Staat bedrohlich zu. Während Politiker aus dem Norden immer neue Gründe für eine Verschiebung oder gar die Nichtanerkennung der Ergebnisse des Referendums vorbringen, drohen Repräsentanten aus dem Süden mit einem neuen Bürgerkrieg, falls der im Friedensvertrag von 2005 vorgesehene Volksentscheid nicht wie vereinbart stattfinden wird.
Die US-Regierung räumt der Krise im Sudan hohe Priorität ein: Während einer Sudan-Konferenz warnte Präsident Barack Obama im September, dass «das Schicksal von Millionen von Menschen» auf dem Spiel stehe. Vor zwei Wochen reisten die Botschafter der 15 UNO-Sicherheitsratsmitglieder zu einem Ortstermin in den Sudan: Nach Gesprächen mit Vertretern beider Seiten appellierten sie an die sudanesische Regierung, das Referendum wie vorgesehen am 9. Januar stattfinden zu lassen.
Fälschungen vermutet
Zuvor war bekannt geworden, dass die Vorbereitungen für die Abstimmung um Wochen verspätet sind. Nach Angaben des aus dem Norden stammenden Vorsitzenden der Wahlkommission, Mohammed Ibrahim Khalil, kann die Registrierung der Wähler frühestens Mitte November und nicht wie ursprünglich beabsichtigt Ende Oktober beginnen. Südsudanesische Politiker befürchten, die Regierung in Khartum plane im Zusammenhang mit der Wählerregistrierung Fälschungen: Da kaum Zweifel bestehen, dass sich eine Mehrheit der Südsudanesen für die Unabhängigkeit aussprechen wird, bliebe dem Norden nur die Chance, die erforderliche Beteiligung von 60 Prozent der registrierten Wähler nicht zustande kommen zu lassen, wird im Südsudan geargwöhnt.
Als das derzeit brennendste Problem gilt die an der Grenze zwischen Nord und Süd gelegene Abyei-Region, in der sich ein Grossteil der Ölreserven des derzeit drittgrössten afrikanischen Ölproduzenten südlich der Sahara befindet. Im 2005 unterzeichneten Friedensabkommen wurde festgelegt, dass die Einwohner Abyeis zeitgleich mit dem Referendum bestimmen können, ob sie zum Süden oder zum Norden des Landes gehören wollen: Nun ist jedoch ein Streit darüber entbrannt, wer überhaupt als Bewohner der Region anzusehen ist. Abyei wird vor allem von Dinka bevölkert, die sich dem Süden zugehörig fühlen; die Region wird allerdings auch von arabischen Nomaden genutzt, die im Fall einer Abspaltung den Verlust ihres Weidelandes befürchten. Lasse man sie nicht als Wähler zu, würden sie «alles in Flammen setzen», drohte der Führer der Missiriya-Nomaden, Babo Nimr: «Wenn das zu einem neuen Krieg führt, dann ist das halt so.»
Schlichtung vertagt
Umgekehrt befürchten die Dinka, der Norden könne die Zahl der wahlberechtigten Missiriya künstlich in die Höhe treiben: Da es sich um Nomaden handle, sei ihre Anzahl leicht zu manipulieren. Ohnehin sind die Missiriya bei den Dinka schlecht angesehen: Die gut bewaffnete Bevölkerungsgruppe hatte während des 21 Jahre langen Bürgerkriegs, der weit über zwei Millionen Menschen das Leben kostete, auf der Seite Khartums gekämpft. Ein Versuch, den Streit um Abyei durch in Äthiopien geführte Verhandlungen beizulegen, wurde letzte Woche ergebnislos abgebrochen. Die beteiligten Parteien wollen sich Ende Oktober zu einer neuen Verhandlungsrunde treffen. Falls das Abyei-Problem nicht gelöst werde, könne auch der Volksentscheid nicht stattfinden, warnte Vizepräsident Ali Osman Taha.
In Abyei selbst kam es vor ein paar Tagen bereits zu einem Zwischenfall, als Regierungssoldaten auf den Marktplatz stürmten und stundenlang Schüsse in die Luft abfeuerten. Es habe sich um eine Provokation zur Auslösung eines bewaffneten Zusammenstosses gehandelt, sagte ein Sprecher der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM: Er sollte den Regierungstruppen den Vorwand zu einer Besetzung der Abyei-Region liefern. Die südsudanesische Regierung forderte den UNO-Sicherheitsrat auf, Blauhelme in die umstrittene Region zu entsenden. Der Chef der Blauhelme im Sudan entschied darauf, in den nächsten Wochen verstärkt Friedenssoldaten an die innersudanesische Grenze zwischen Süden und Norden zu schicken.
Spaltung empfohlen
Der Präsident des Südsudans, Salva Kiir, sprach sich derweil so deutlich wie noch nie für eine Abspaltung aus. Die Regierung in Khartum habe in den vergangenen fünf Jahren nichts getan, um die Einheit für den Süden attraktiver zu machen, sagte Kiir auf einer Kundgebung in der südsudanesischen Hauptstadt Juba: «Wenn ich alleine zu bestimmen hätte, würde ich für die Abspaltung votieren.» Diese Aussage wurde in Khartum als «vollkommen inakzeptabel» kritisiert: Sie stelle einen Verstoss gegen das Friedensabkommen dar, in dem sich beide Seiten verpflichtet hätten, auf den Erhalt der Einheit hinzuarbeiten, sagte der Präsident des Sudan, Omar al-Bashir.
Der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen in den Darfur-Provinzen angeklagte Staatschef sagte vor dem Parlament, seine Regierung werde unabhängig ihrer grundsätzlichen Respektierung des Friedensabkommens eine Alternative zur Einheit des Sudans nicht akzeptieren – ohne zu präzisieren, was das zu bedeuten hat.
Sezessionisten verprügelt
Ausser der Zugehörigkeit der Abyei-Region ist auch noch ungeklärt, was im Falle einer Sezession des Südens mit den im Norden lebenden Südsudanesen passieren wird. Deren Zahl wird auf weit über eine Million geschätzt. Am Rand einer Demonstration mehrerer Tausend Einheitsbefürworter kam es in der Hauptstadt Khartum zu Zusammenstössen mit mehreren Dutzend Südsudanesen, die sich als Sezessionisten zu erkennen gaben. Die Polizei habe gemeinsam mit den Einheitsbefürwortern Jagd auf diese Leute gemacht, hiess es: Mehrere Südsudanesen seien verprügelt und festgenommen worden.
Ebenfalls ungeklärt ist, wie Nord und Süd im Fall einer Sezession die Nutzung des Nilwassers regeln sowie die Einkünfte aus dem Erdölexport aufteilen werden. 80 Prozent der bisher bekannten Ölreserven in einer Grössenordnung von sechs Milliarden Fass befinden sich auf dem Gebiet des Südsudan: Dessen Budget wird derzeit zu 98 Prozent aus den Öleinnahmen finanziert. Allerdings muss das Erdöl in Pipelines, die durch den Nordsudan führen, ans Rote Meer geschafft werden: Ohne eine Verständigung mit Khartum kann der Süden deshalb ökonomisch nicht überleben.
Beide Seiten werfen sich vor, eine neue kriegerische Konfrontation vorzubereiten. Die Südsudanesische Befreiungsarmee SLA habe in der Nähe umstrittener Regionen wie Abyei Truppen zusammengezogen, heisst es in Khartum. Der Norden habe im Grenzgebiet 70’000 Soldaten zur Vorbereitung einer Invasion stationiert, wird im Süden gekontert. «Die Gefahr eines neuen Krieges zeichnet sich immer deutlicher ab», warnt der amerikanische Sudan-Experte John Prendergast. (Tages-Anzeiger)