Afrikanische Träume
Wann ist ein Krieg vorbei?
von Carsten Luther
Heimatlose Kinder im Kalma-Camp im Süden Darfurs: Noch immer können viele der fast drei Millionenen Vertriebenen nicht in ihre Dörfer zurückkehren – aus Angst vor Überfällen von Banditen und örtlichen Milizen. (Foto: dpa)
Heimatlose Kinder im Kalma-Camp im Süden Darfurs: Noch immer können viele der fast drei Millionenen Vertriebenen nicht in ihre Dörfer zurückkehren – aus Angst vor Überfällen von Banditen und örtlichen Milizen. (Foto: dpa)
Für seine abschließende Einschätzung der Lage in der sudanesischen Krisenregion Darfur hat General Martin Luther Agwai herbe Kritik erfahren. Der scheidende Kommandeur der gemeinsamen Friedenstruppen von UN und Afrikanischer Union hält den eigentlichen Krieg dort für beendet („real war as such, I think we are over that“, sagte er der BBC). Seit 2003 sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen 300.000 Menschen durch den Konflikt gestorben, der oftmals vereinfacht als Auseinandersetzung zwischen schwarzafrikanischen und arabischstämmigen Bevölkerungsgruppen dargestellt wird. Die erbitterten Kämpfe der vergangenen Jahre sind in der Darstellung von Agwai nun vorbei, weil die Konfliktparteien zersplittert wären und nurmehr gegeneinander kämpften. Das größte Problem sei mittlerweile die Bandenkriminalität und die allgemeine Sicherheitslage; der nigerianische General spricht von Auseinandersetzungen auf niedriger Ebene („low level disputes“) und Sicherheitsproblemen („security issues“) auf lokaler Ebene – es gehe dabei vor allem um Wasser und Land. Lediglich eine Rebellengruppe, die „Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit“ (JEM), stelle noch eine echte Bedrohung für die sudanesischen Sicherheitskräfte dar. Doch selbst sie sei nicht länger in der Lage, Gebiete zu erobern und zu kontrollieren (noch im vergangenen Jahr waren die Milizen sogar in Vororte von Karthum eingedrungen).
Wenn der Krieg also vorbei ist: Wo bleibt der Frieden? Auch wenn die Gewalt in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen ist, gibt es immer noch wenig Hoffnung für die fast drei Millionen in Flüchtlingslagern lebenden Menschen aus Darfur. Sie können nicht in ihre Dörfer zurückkehren, weil sie Angst vor Überfällen durch Banditen und örtliche Milizen haben müssen. Welche Bedeutung hat es da, wenn die UN meldet, derzeit würden nur etwa 120 bis 150 Menschen jeden Monat sterben, in den vergangenen Jahren seien es Hunderte bis Tausende jeden Monat gewesen?
Ausgebrochen waren die Kämpfe 2003, nachdem die JEM und die „Sudanesische Befreiungsarmee“ (SLA) Regierungseinrichtungen angegriffen hatte, weil sie der politischen Führung des Landes vorwarf, die arabischstämmige Bevölkerung zu bevorzugen und die schwarzafrikanische Mehrheit im Darfur zu unterdrücken. Dahinter stehen vor allem auch jahrelang schwelende Spannungen zwischen den zumeist nomadisch lebenden Arabern und den ansässigen Farmern der Region. Die Regierung räumte später ein, als Reaktion auf die Angriffe der Rebellen „Selbstschutz-Milizen“ mobilisiert zu haben. Was Khartum immer zurückgewiesen hat, waren Vorwürfe, dass die Regierung die arabischen Dschandschawid-Reitermilizen unterstützt, denen Massaker an der schwarzen Bevölkerung vorgeworfen werden. Offiziell nannte der sudanesische Präsident Omar al-Bashir die Dschandschwid – die ganze Dörfer mit hunderten Menschen dem Erdboden gleichmachten, Männer abschlachteten, Frauen vergewaltigten und alles stahlen, was sie gebrauchen konnten – „Diebe und Gangster“. Doch viele Beobachter gehen davon aus, dass er die Kämpfe aus dem Hintergrund bewusst geschürt hat – und dies auch in Zukunft wieder tun könnte. Weder auf die ethnischen noch auf die ökonomischen und ökologischen Aspekte allein lässt sich der Konflikt reduzieren. Und al-Bashir, der mittlerweile per Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesucht wird (ein Thema für sich, dass er immer noch frei herumläuft), trägt vielleicht ein Großteil der Verantwortung – ist aber sicher nicht allein der Auslöser. Der Konflikt bekommt beispielsweise eine weitere Dimension, wenn man sieht, dass die Regierung des benachbarten Tschad die Rebellenbewegungen gegen die sudanesischen Kräfte unterstützt.
Dem US-Sondergesandten Scott Gration, der den Dialog mit den Machthabern in der Region wieder aufgenommen hat, wird es schwerfallen, eine wirklich belastbare Friedensvereinbarung zu erreichen. Gration sieht die Zersplitterung der Rebellen in mehr als 25 unterschiedliche Gruppe denn auch eher als Hindernis statt als einen Fortschritt – was er bislang erreicht hat, ist eine Vereinbarung von vier wichtigen Gruppierungen, die sich zu einer Zusammenarbeit bekennen. Was wirklich im Darfur geschieht, ist allerdings kaum zu erfahren. Nicht nur Journalisten und Hilfsorganisationen (zuletzt hatte al-Bashir viele von ihnen sogar ihre Arbeit verboten, sie des Landes verwiesen und ihr Material beschlagnahmt) haben Schwierigkeiten, sich frei zu bewegen. Sogar die Blauhelmtruppen von UN und Afrikanischer Union haben zu einigen Teilen der Region keinen Zugang. Wie gefährlich die Äußerungen von General Martin Luther Agwai vor diesem Hintergrund sind, hat sich bereits gezeigt: Die sudanesischen Staatsmedien berichteten überschwänglich, dass der Frieden in den Darfur zurückgekehrt sei; Präsident al-Bashir verlieh Agwai gar eine Medaille. Eigentlich sehr passend, wenn man bedenkt, dass der nigerianische General in seiner Amtszeit wenig für den Frieden erreicht hat und jedes kritische Wort gegenüber dem sudanesischen Regime vermieden, sich sogar offen gegen die Anklage des Präsidenten vor dem Internationalen Strafgerichtshof ausgesprochen hat. Dennoch hat er mit einer Einschätzung, die im Trubel um seine Worte fast untergegangen ist, recht: Das eigentliche Problem, glaubt er, ist politischer Natur
Quelle: Wann ist ein Krieg vorbei?