Sudan: Wo das Tragen einer Hose mit Peitschenhieben bestraft wird

Sudan: Wo das Tragen einer Hose mit Peitschenhieben bestraft wird
IRENE ZÖCH (Die Presse)
Einer Journalistin droht die Auspeitschung, weil sich die islamische Sittenpolizei durch ihre Kleidung provoziert fühlte. Lubna Hussein kämpft für eine Gesetzesänderung.
KHARTUM/WIEN.Lubna Ahmed Hussein trug eine weite moosgrüne Hose und eine lange dunkle Bluse mit großem Blumenmuster. Ihren Kopf hatte sie mit einem dunkelgrünen, gemusterten Schal bedeckt. So erschien die 34-jährige Sudanesin zu einer privaten Party in einem der schickeren Restaurants in der Hauptstadt Khartum.
Was andernorts als dezente oder gar konservative Bekleidung gilt, ist im Sudan ein schweres Vergehen. Denn dort wird die Scharia, das islamische Recht, besonders streng ausgelegt: Die Sittenpolizei stürmte das Restaurant, nahm sie und 14 weitere Frauen fest und klagte sie wegen des Verstoßes gegen Paragraf 152 des sudanesischen Strafgesetzbuches an. Ihr Vergehen: das Tragen von Hosen. Ihre mögliche Strafe: 40 Peitschenhiebe. „15 Polizisten kamen und nahmen alle Frauen mit, die Hosen anhatten“, erzählte Hussein der britischen BBC. Mit ihrer Bekleidung würden sie die öffentliche Moral unterlaufen, argumentiert das Gericht. Zehn der verhafteten Frauen wurden sofort ausgepeitscht. Hussein steht derzeit in Khartum vor Gericht. Der Vorfall ereignete sich Anfang Juli.
Lubna Ahmed Hussein ist im Sudan keine Unbekannte: Als Journalistin der Tageszeitung „Sahafa“ prangert sie des Öfteren Missstände an. Außerdem arbeitet sie im Pressebüro der Mission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS). Als UN-Mitarbeiterin genießt die Sudanesin Immunität – diese hätte sie vor einem Gerichtsverfahren und vor den drohenden Peitschenhieben verschont.
Doch Hussein geht es längst nicht mehr darum, die körperliche Züchtigung abzuwenden: Ihren Job bei der UNO hat sie kurzerhand zurückgelegt, um vor Gericht erscheinen zu dürfen. Ihr Ziel: Paragraf 152 soll fallen. „Ich will etwas ändern, weil es nicht human ist, Frauen zu peitschen“, schreibt Hussein in einer Nachricht auf der Internetplattform Facebook. „Hier geht es nicht um eine Attacke gegen mich als Person oder Journalistin.“ Vielmehr sei das, was ihr gerade widerfahre, der Alltag für viele Frauen im Sudan. Jedes Jahr würden tausende verhaftet und ausgepeitscht, weil die Sittenpolizei ihre Bekleidung zu provokant finde. Viele der Bestraften seien für den Rest ihres Lebens stigmatisiert.
Was ist schicklich? Was unschicklich?
Hussein und ihr Anwalt Nabil Adib Abdalla fordern die Abschaffung oder zumindest eine Überarbeitung des Gesetzes. Paragraf 152 richtet sich gegen „unschickliches Verhalten, das die öffentliche Moral verletzt“. Allerdings wird darin nicht näher definiert, welches Verhalten nun als schicklich und welches als unschicklich angesehen wird. Zu breit sei der Paragraf gefasst, kritisiert Anwalt Abdalla. „Das Gesetz muss reformiert werden, der Fall wird zu einem Test.“ Seine Mandantin zeige keine Reue, weil sie sich nichts zuschulden kommen lassen habe. Auch Husseins oberster Chef bei der UNO, Generalsekretär Ban Ki-moon, hat sich zu Wort gemeldet: Peitschenhiebe widersprächen den internationalen Normen der Menschenrechte, und die UNO unternehme alles, um ihre Mitarbeiter zu schützen.
Im Sudan steht es aber mit den Menschenrechten nicht zum Besten: ein Staatsoberhaupt, das vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit per Haftbefehl gesucht wird, ein blutiger Bürgerkrieg, der seit sechs Jahren die westsudanesische Provinz Darfur erschüttert und bisher hunderttausende Menschenleben gefordert hat und die unerbittliche Auslegung des islamischen Rechts.
Nachdem sich Präsident Omar al-Bashir 1989 an die Macht geputscht hatte, führte er nicht nur im vorwiegend arabischen Norden die Scharia ein, sondern auch im christlich geprägten Süden. Theoretisch gilt seit 2005 das islamische Recht im Südsudan nicht mehr. Doch immer wieder werden auch nichtmuslimische Frauen von der Sittenpolizei verhaftet und ausgepeitscht. Auch unter jenen Frauen, die gemeinsam mit Hussein verhaftet wurden, sollen Christinnen gewesen sein. Hussein argumentiert, dass der Paragraf weder in Einklang mit der Verfassung noch mit der Scharia stehe.
„Frauen sind nicht zum Auspeitschen da“
Als Lubna Hussein diesen Donnerstag im Gerichtssaal in Khartum erschien, versammelten sich vor dem Gebäude Demonstranten, die Plakate in die Höhe hielten: „Frauen sind nicht zum Auspeitschen da.“ Universitätsprofessoren, Menschenrechtsaktivisten und Journalistenkollegen ergriffen das Wort für Hussein. Prompt wurde eine Reporterin zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil sie mit ihrem Artikel die Polizei diffamiert habe.
Kommenden Dienstag muss Hussein wieder vor Gericht erscheinen. Und schon heute steht fest, was sie auch nächste Woche wieder anziehen wird: eine moosgrüne Hose, eine lange Bluse mit Blumenmuster und einen gemusterten Schal. Meinung, S. 31
Quelle: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/499628/index.do?_vl_backlink=/home/politik/index.do

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