Hunderttausende kämpfen um ihr
Leben
Durch den Darfur-Konflikt droht die größte humanitäre Katastrophe seit zehn
Jahren – Die Caritas Tschad betreut drei große Flüchtlingslager
DT Nr.405 vom 08.05.2004
Von Christine Decker
„Wir wurden von den Milizen angegriffen“, antwortet Adam Moussad Achmed auf die Frage, wie es ihn in das Flüchtlingslager von Kounoungo im Osten des Tschad verschlagen hat. „Die Milizen haben wild um sich geschossen und alle getötet, die ihnen in den Weg kamen. Auch meine Mutter. Sie war mehr als achtzig Jahre alt und blind. Die Milizen haben ihre Hütte in Brand gesteckt. Sie konnte nicht weglaufen!“ Adam Moussad ist 48 Jahre alt und war Schulrektor in einem kleinen Dorf in Darfur, im Westen des Sudan. Die Angreifer, so berichtet er, waren die berüchtigten Djanjawid: Reitermilizen, die von der sudanesischen Regierung in Khartoum bereits in den achtziger Jahren gebildet und bewaffnet wurden, um sie im Kampf gegen die Rebellen im Süden des Landes zu unterstützen. Jetzt hinterlassen sie auch im Westsudan eine Spur der Verwüstung. „Wir haben alles verloren“, sagt Adam. „Unsere Hütten, unser Vieh, unsere Kinder und unsere Alten. Und solange diese verlogene Regierung in Khartoum an der Macht ist, gehen wir auch nicht zurück. Wenn wir zurückgehen, bringen sie uns um.“
So wie Adam Moussad Achmed kämpfen derzeit Hunderttausende von Menschen im Sudan und im Tschad um ihr Leben. Die Vereinten Nationen sprechen von der weltweit größten humanitären Katastrophe seit zehn Jahren. Die seit Februar 2003 andauernden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und aufständischen Rebellen in der westsudanesischen Region Darfur sollen bereits 10000 Tote gefordert haben. 900000 Menschen sind aus Angst vor dem Bürgerkrieg geflohen. 800000 dieser Flüchtlinge irren auf der Suche nach Hilfe und Schutz im Sudan umher, 100000 haben sich in den angrenzenden Tschad gerettet. Jede Woche kommen laut Angaben der Vereinten Nationen 20000 Menschen hinzu. Wegen der unsicheren Lage ist den Hilfsorganisationen ein systematisches Engagement im Sudan bislang kaum möglich, sie warten noch immer auf einen gesicherten Zugang nach Darfur. So lange muss sich der Großteil der Unterstützung auf den benachbarten Tschad beschränken.
Adam Moussad hatte das Glück, sich retten zu können. Im Tschad findet er Hilfe im Flüchtlingslager Kounoungou, das von der Caritas Tschad geführt wird. Hier, etwa sechzig Kilometer westlich der sudanesischen Grenze, leben insgesamt mehr als 8500 Menschen, darunter über 3000 Kinder. Das Gros der Bewohner wurde von Lastwagen des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) hierher gebracht. Viele kommen aber auch auf eigene Faust hierher, zu Fuß oder auf einem Esel.
Kounoungou ist eines von drei Lagern, die die Caritas Tschad im Grenzgebiet zum Sudan unterhält – als einzige lokale Nichtregierungsorganisation, die im Tschad den sudanesischen Flüchtlingen hilft. Seit vielen Jahren arbeiten die einheimischen Mitarbeiter im Tschad. Allein 28000 Flüchtlinge haben in diesen drei Lagern Zuflucht gesucht, nochmals 20000 Menschen sind es in zwei weiteren von ausländischen Hilfsorganisationen geführten Camps.
In den Lagern werden die Flüchtlinge mit Lebensmitteln versorgt. Sie erhalten sauberes Wasser und medizinische Basisversorgung. Ein Stück Weideland für die mitgebrachten Tiere ist neben dem Camp eingezäunt. Die Tiere sind das einzige Gut der Familien. Die Bäume rund um das Lager sind kahl: entlaubt, um die Tiere zu füttern oder um als Brennstoff zu dienen.
Massaker mit Unterstützung der sudanesischen Regierung
Im Flüchtlingslager Farchana leben einige Familien bereits seit mehreren Monaten. Manche haben um ihre Zelte Wälle aufgehäuft, um sich ein wenig Privatsphäre inmitten der Tausenden von Menschen zu schaffen. Außerhalb des Lagers liegen Dutzende verendeter Esel, Ziegen und Rinder, die von einer mysteriösen Krankheit befallen wurden. Der Verlust ist eine Katastrophe für die Flüchtlinge, die bei ihrem eiligen Aufbruch all ihr Hab und Gut zurückgelassen haben.
Mitten in einem solchen Camp hockt Fatmé. So heißt die junge Frau, die sich in den Schatten eines ausgedörrten Dornenbusches verkrochen hat. Neben ihr, auf einem Stofffetzen, liegt ihre einen Monat alte Tochter. Saloua ist unter freiem Himmel in dem Grenzstädtchen Triné zur Welt gekommen. Ein Flüchtlingskind. Vor kurzem kam Fatmé mit ihrer Tochter, ihrer alten Mutter und einigen anderen Verwandten im Lager an. In der sengenden Hitze von mehr als 45 Grad haben sie zu Fuß und auf Eseln die 64 Kilometer von der Grenze bis hierhin zurückgelegt. Und die Gegend hier gleicht einer Wüste
Fatmés Mann wurde von den Djanjawid-Milizen getötet. Ihr Dorf wurde niedergebrannt. Menschenrechtsorganisationen und Hilfswerke berichten seit langem über solche Massaker an der Zivilbevölkerung. Sie machen die sudanesische Regierung ausdrücklich für die Verbrechen in Darfur mitverantwortlich. Sie unterstütze die Djanjawid, die Menschen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit vergewaltigten und ermordeten.
Verschließt die Welt also ein weiteres Mal die Augen vor einem Völkermord in Afrika? Internationale Beobachter wie der Beauftragte der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe im Sudan, Mukesh Kapila, jedenfalls vergleichen das Morden im Sudan mit dem Genozid in Ruanda vor zehn Jahren. Ein vor einem Monat von Rebellen und Regierung unterzeichnetes Abkommen, das eine 45-tägige Waffenruhe vorsieht, wird von politischen Beobachtern mit Misstrauen beurteilt. Zwei frühere Vereinbarungen hielten nie lange.
Auch Fatmé traute den Versprechungen nicht. Zu oft ist sie enttäuscht worden. Sechs Tage lang dauerte ihre Flucht. Auf Eseln kam sie schließlich bis nach Triné. Von dem Vieh, das ihre Familie hatte, ist ihr nur ein Esel geblieben. Die meisten Tiere haben die Milizen gestohlen, die anderen sind in den vergangenen Wochen eines nach dem anderen verendet. Fatmé gehört zu den mehr als 5000 Flüchtlingen, die innerhalb einer Woche im Lager von Touloum eingetroffen sind. Sie hatten gehört, dass es dort Nahrung und Wasser gibt. Deshalb haben sie sich todesmutig auf den beschwerlichen Weg gemacht.
Jetzt sitzt Fatmé im „Transitlager“. So nennen die Mitarbeiter der Caritas Tschad das weite Feld, auf dem die Flüchtlinge ihre notdürftigen Behausungen aus Tüchern und Stofffetzen errichtet haben. Zurzeit werden in diesem Lager mehr als 14000 Flüchtlinge betreut. Die Caritas-Mitarbeiter verteilen Nahrungsmittel, Wasserkanister und Plastikfolien an die Neuankömmlinge, damit sie ihre Notbehausungen besser gegen Wind, Sand und die glühende Sonne schützen können. Bis jetzt wohnen nicht einmal die Hälfte der Flüchtlinge in Touloum in richtigen Zelten.
„Seit Monaten schon stehen die einfachen Menschen im Tschad den sudanesischen Flüchtlingen nach Kräften bei“, sagt die Niederländerin Geke Verspui, die sich vor ein paar Wochen im Auftrag der internationalen Caritas vor Ort ein Bild von der Lage der Flüchtlinge verschafft hat. Doch deren Möglichkeiten seien nun erschöpft: In vielen Dörfern kommen auf einen Einheimischen zehn Flüchtlinge. Verspui befürchtet, „dass mit dem akuten Wassermangel die Stimmung unter der ansässigen Bevölkerung kippt, weil in der kargen und trockenen Region schon jetzt die lokalen Wasservorräte nicht mehr ausreichen.“
Zusätzlich erschwert dürfte die Situation werden, wenn in wenigen Wochen die Regenzeit einsetzt. Dann werden die Straßen zu den meisten Flüchtlingslagern unpassierbar oder gar zerstört sein. Zehntausende Flüchtlinge könnten dann über Monate von der Außenwelt abgeschnitten sein. Bis dahin aber wird, so schätzt der UNHCR, die Zahl der Flüchtlinge in den Camps von momentan 28000 auf 50000 steigen. Noch bevor der Regen Ende Mai einsetzt, müssen deshalb weitere 7000 Tonnen Lebensmittel in den Lagern eingetroffen sein.
Caritas international bittet dringend um Spenden zur Unterstützung seiner Arbeit im Tschad. Mehr Informationen dazu im Internet unter www.caritas-international.de oder telefonisch unter (07 61) 20 02 88.
Quelle: www.die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=8800