Gefahr eines Krieges
Wenn der Sudan brennt, brennt bald ganz Afrika
Von Jens Wiegmann 10. Januar 2010, 09:25 Uhr
Der Sudan droht in Gewalt zu versinken. Präsident Omar al-Baschir ist vor dem Internationalen Strafgerichtshof des Völkermordes angeklagt. Dennoch geht das Töten weiter. Im vergangenen Jahr sind mehr als 2500 Menschen ermordet und 350.000 vertrieben worden. Experten sind sehr besorgt.
Mehr als 100 Tote bei Stammeskämpfen im Südsudan
Mehrere Hilfsorganisationen haben vor einem neuen Krieg im Sudan gewarnt, falls sich die internationale Gemeinschaft nicht stärker um das Land kümmere. Das vor fünf Jahren zwischen den Bürgerkriegsparteien im Nord- und Südsudan geschlossene Friedensabkommen stehe vor dem Zusammenbruch, heißt es in einem Bericht von zehn Organisationen. Grund seien chronische Armut, steigende Gewalt und politische Spannungen. Das am 9. Januar 2005 geschlossene Abkommen hatte einen 22 Jahre dauernden Krieg beendet, bei dem schätzungsweise zwei Millionen Menschen starben und etwa doppelt so viele vertrieben wurden.
Der Sudan, das flächenmäßig größte Land Afrikas mit einer Ausdehnung wie Westeuropa, wird im Norden und in der Hauptstadt Khartum von Muslimen dominiert, Amtssprache ist arabisch. Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden lebte von 1992 bis 1996 in Khartum. Das Land hatte eine lange Tradition des Sklavenhandels, ihre „Ware“ bezogen die Händler unter anderem aus dem heutigen Süden des Sudans. In diesem Landesteil leben vorwiegend schwarze Sudanesen, zumeist christlichen Glaubens oder Anhänger von Naturreligionen. Der Hauptgrund für den Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen Nord und Süd im Jahr 1983 war die geplante landesweite Einführung der islamischen Rechtsprechung, der Scharia. Im Norden gilt sie heute noch.
Die Hilfsorganisationen befürchten, dass die im April geplanten ersten freien Wahlen seit 24 Jahren und eine für das Jahr 2011 vorgesehene Volksabstimmung über die mögliche Unabhängigkeit des Südsudans ohne entsprechende Vorbereitung zu neuer Gewalt führen. Sie riefen den UN-Sicherheitsrat auf, den Schutz von Zivilisten zur Priorität der UN-Mission im Sudan (Unmis) zu machen. Das Jahr 2009 sei „ein Jahr der Gewalt für die Menschen im Südsudan“ gewesen. Mehr als 2500 Menschen seien getötet und 350.000 vertrieben worden, heißt es in dem Bericht der Hilfsorganisationen. „Die Sicherheit der Menschen im Südsudan ist Tag für Tag bedroht“, warnten unter anderem Oxfam, Save the Children und World Vision. Anlass zu „äußerster Sorge“ biete auch die Situation in der westsudanesischen Krisenregion Darfur, wo schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen in Flüchtlingslagern leben.
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Die Vereinten Nationen sind ebenfalls sehr besorgt. Bei Kämpfen seien kürzlich binnen einer Woche mindestens 140 Menschen ums Leben gekommen, 90 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte die Leiterin der humanitären Hilfsoperationen der UN im Südsudan, Lise Grande, mit. Blauhelmsoldaten der Unmis seien in den Bezirk Wunchuei aufgebrochen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Rund 10.000 Unmis-Soldaten sollen die Einhaltung des Abkommens vom 5. Januar 2005 überwachen.
Bei den Kämpfen soll es sich um Zusammenstöße zwischen Zivilisten und der aus der früheren Rebellenbewegung SPLM hervorgegangenen Südsudanesischen Armee handeln. Es ist allerdings nicht immer klar, ob es sich bei den „Zivilisten” nicht doch um Mitglieder von konkurrierenden Rebellengruppen oder Kämpfer aus dem Norden handelt. Aber auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Volksgruppen im Süden – häufig aus Rache oder wegen Streitigkeiten um Vieh – haben im vergangenen Jahr beständig zugenommen. Der Süden bietet mit einer Mischung aus Armut, Frustratation angesichts der geringen Fortschritte in den vergangenen fünf Jahren und reichlich Waffen einen idealen Nährboden für Gewalt. Kritiker werfen der SPLM vor, nicht genug für die Umsetzung des Friedensvertrags mit dem Norden und die Demokratisierung getan zu haben.
Die Regierung von Präsident Omar al-Baschir, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Hunderttausenden von Toten in Darfur des Völkermordes angeklagt ist, duldet die Kämpfe, wenn sie sich nicht gar anheizt. Denn beide Seiten haben es in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft, sich über den Grenzverlauf und die Aufteilung der Einnahmen aus dem Ölverkauf – überwiegend an China – zu einigen. Ein großer Teil der sudanesischen Erdölreserven befindet sich im Grenzgebiet zwischen den beiden Landesteilen.
Vor dem für 2011 geplanten Referendum müssten sich der Norden und der Süden unter anderem über den genauen Verlauf der Grenze und die Aufteilung der nationalen Schulden einigen, andernfalls drohe ein neuer Krieg, warnte diese Woche ein Berater al-Baschirs. Da der Sudan wirtschaftlich wie politisch eines der einflussreichsten Länder der Region ist – umgeben unter anderem von Ägypten, Äthiopien, Kenia und dem Kongo -, befürchten Experten im Falle eines neuen Krieges im Südsudan eine Destabilisierung der ganzen Region. Die ist ohnehin labil: Äthiopien ist im Dauerkonflikt mit Eritrea und Somalia, dessen islamistische Terroristen wiederum Kenia bedrohen. Im gesamten Ostkongo wird gekämpft, und in Norduganda und im Südsudan richtet die äußerst brutale “Widerstandsarmee des Herrn” immer wieder Massaker an.
Quelle: http://www.welt.de/politik/ausland/article5781128/Wenn-der-Sudan-brennt-brennt-bald-ganz-Afrika.html