Ein fataler Zufluchtsort
Von Thomas Scheen
04. August 2009 Seit langem wird vermutet, dass die Islamisten in Somalia Beziehungen mit Al Qaida haben. Die Frage bislang war allerdings, wie weit diese gediehen sind. Folgt man dem Verwaltungschef der südsomalischen Stadt Kismayo, die von der islamistischen Miliz der al Shabaad kontrolliert wird, dann sind sich die Islamisten am Horn von Afrika und diejenigen in den afghanischen Bergen inzwischen sehr nahe gekommen: Er sei hocherfreut, verkünden zu dürfen, seine islamische Verwaltung künftig unter das Kommando von Usama Bin Ladin und Ayman Zawahiri stellen zu dürfen.
Al Shabaad kontrolliert mittlerweile weite Teile Süd- und Zentralsomalias. Dort wird eine düstere Form der Scharia praktiziert, die an die schlimmen Zeiten in Afghanistan erinnert. Die Miliz wiederum soll inzwischen von einem zehnköpfigen „Kabinett“ geleitet werden, das sich im Wesentlichen aus Afghanistan-Veteranen zusammensetzt.
Der Star ist ein gebürtiger Amerikaner
Von Al Qaida haben die Shabaad auch die Strategie der Internetpropaganda übernommen. Ihr neuer Video-Star ist ein gebürtiger Amerikaner, von dem nur der Kampfname Abu Mansoor al Amriki bekannt ist. Er tritt unmaskiert in Videobotschaften auf, die zeigen sollen, wie er englischsprachige Rekruten in Kampftechniken unterrichtet. Nach Mutmaßungen soll es sich bei dem Mann um einen ehemaligen amerikanischen Elitesoldaten handeln, der 1992 in Bosnien eingesetzt war und dann die Seiten wechselte.
Fest steht jedenfalls, dass die Zahl ausländischer Kämpfer in den Reihen der al Shabaad sprunghaft gestiegen ist. War sie im vergangenen Jahr noch bei hundert, soll sie heute bei rund 450 liegen. Die meisten Männer sollen aus Großbritannien, Amerika, Schweden, Saudi-Arabien und Sudan kommen. Der amerikanische Admiral Mullen sagte voraus, Somalia sei aufgrund der anarchischen Zustände eine natürliche Fluchtburg für Al Qaida, sollten sich die Islamisten eines Tages nicht mehr in Afghanistan und Pakistan halten können.
Doch zugleich scheint es genau diese Anarchie zu sein, die eine flächendeckende Machtübernahme durch die al Shabaad bislang verhindert. Das Institut für Terrorismusforschung an der amerikanischen Militärakademie West Point kam in einer Studie über den Einfluss Al Qaidas in Somalia zu dem Schluss, dass den Terroristen das Chaos im Land genauso zu schaffen mache wie den westlichen Kräften in deren Bemühen, die somalische Übergangsregierung zu unterstützen. Aus abgehörten Telefongesprächen und abgefangenen E-Mails zeichnen die amerikanischen Militärforscher ein Lagebild, das vor allem von Beschwerden der ausländischen Kämpfer geprägt ist; über das Essen, das Klima, die Schlangen oder kaputte Autos – und disziplinlose somalische Kämpfer.
Disziplinlose Kämpfer
Die Disziplinlosigkeit ist das Kennzeichen somalischer Kämpfer. Sie gründet in der sozialen Struktur der somalischen Gesellschaft. Somalis – seien sie gewöhnliche Bürger, Piraten und Lösegelderpresser oder fanatische Terroristen – identifizieren sich nicht über Ideologie oder gar Religion, sondern ausschließlich über das Clan-System und damit über eine Art Individualität. Die Idee einer muslimischen Weltrevolution ist ihnen zu abstrakt. Wenn es überhaupt eine clanübergreifende Klammer in dem Land gibt, dann ist das bestenfalls ein Nationalismus, der allerdings nicht so weit geht, einen staatlichen Überbau als Autorität zu akzeptieren.
Der zweite Aspekt dieses Nationalstolzes ist eine mitschwingende Fremdenfeindlichkeit, die bislang alle Nichtsomalis zu spüren bekommen haben: die italienischen Kolonialherren, die Soldaten der UN-Mission „Restore Hope“ in den neunziger Jahren, zuletzt die Äthiopier, die an Weihnachten 2006 in Mogadischu einmarschiert waren, um die Islamisten zu verjagen. Dass die Somalis sich nunmehr unter die Knute einer abermals importierten, religiös verbrämten Ideologie begeben werden und die Dschihadisten als Befreier begrüßen, scheint vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich zu sein.
Rechtsfreie Räume
Dennoch ist Somalia für Al Qaida ein idealer Ort. Rechtsfreie Räume, in denen die Terroristen sich einrichten können, wird es dort noch auf lange Zeit geben. Des Anrennens gegen die Übergangsregierung überdrüssig, könnte die Al-Qaida-Fraktion innerhalb der Shabaad ihre Aktionen auf die Nachbarländer ausdehnen. Die brüchigen Grenzen, die unzulänglichen Sicherheitskontrollen auf nahezu allen afrikanischen Flughäfen, der schlechte Zustand der meisten Sicherheitsdienste, die Korruption an den Landesgrenzen und das Fehlen moderner Kommunikationstechniken – das alles macht Afrika zu einem geeigneten Ort für potentielle Attentäter.
Das hat sich bei den Anschlägen auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 gezeigt, und seither hat sich offenkundig nicht viel geändert, sonst wäre der Anschlag auf ein von israelischen Touristen besuchtes Hotel in Mombasa 2002 genauso wenig möglich gewesen wie der – letztlich gescheiterte – Anschlag auf ein israelisches Flugzeug ebenfalls in Mombasa. In allen Fällen verlor sich die Spur der Attentäter in Somalia.
Es wäre deshalb an der Zeit, dem Land die Aufmerksamkeit zu schenken, die ein geopolitisch weniger brisanter Konflikt wie der in Darfur schon seit Jahren genießt.