Das geteilte Land
Von Knaup, Horand
Im April soll im größten Staat Afrikas gewählt werden, zum ersten Mal seit 24 Jahren. Doch der Konflikt in Darfur ist nur scheinbar beigelegt, und in zehn Monaten droht eine neue Kraftprobe: Der ölreiche Süden will sich selbständig machen. Ist der nächste Krieg bereits in Sicht?
Der Staatspräsident ist in Juba gelandet, der Hauptstadt der Abtrünnigen, ganz unten im Süden. Er steigt hier eigentlich nur um, er wird mit einem Hubschrauber weiter Richtung Westen fliegen. Aber weil er nicht so oft vorbeikommt, wird erst einmal der gesamte Flughafen gesperrt, anfliegende Maschinen werden umgeleitet. Juba wird den Umgang mit Prominenz erst noch lernen müssen.
Es ist Dienstagmorgen, 35 Grad heiß und Zeit zu feiern. Vor fünf Jahren haben der Staatspräsident und die Rebellen aus dem Süden nach 21 Jahren Krieg endlich Frieden geschlossen. Seither hat der Süden eine halbautonome Republik, einen eigenen Präsidenten, ein eigenes Parlament und eine eigene Polizei.
An diesem Dienstag wird das Jubiläum des fragilen Friedens begangen, im Sta-dion von Yambio, 350 Kilometer von Juba entfernt. Und deshalb steht Umar Hassan al-Baschir, der Präsident des Sudan, nun gemeinsam mit Salva Kiir, dem Präsidenten des abtrünnigen Südens, auf einem Geländewagen, und scheinbar einträchtig rollen beide ins Oval der Sportarena. Es ist eine Geste des guten Willens – und eine Geste der Kapitulation.
Niemand weiß, ob der Süden in einem Jahr noch zum Sudan gehören wird, ob bis dahin nicht längst neue Kämpfe entflammt sind zwischen den beiden Landesteilen und ob Baschir dann überhaupt noch im Präsidentenpalast sitzt. Hilfsorganisationen warnen vor einem neuen Krieg. Angeblich wird im Grenzgebiet aufgerüstet. Der Süden hat sich Panzer liefern lassen.
Natürlich sei ihm ein vereinter Sudan lieber, sagt der Staatspräsident. Aber wenn der Süden die Unabhängigkeit anstrebe, werde er sie als Erster anerkennen. “Mein Bruder, der Präsident, und ich”, entgegnet Salva Kiir unter seinem schwarzen Stetson-Hut, ohne den er sich nirgendwo mehr zeigt, “wir beide werden zusammen an einem friedlichen und stabilen Sudan arbeiten.” Aufs Falschspielen hat man sich im Sudan schon immer verstanden.
Baschir, 66, ist seit 21 Jahren Präsident des Sudan und damit einer der am längsten amtierenden Staats- und Regierungschefs in Afrika. In den Neunzigern duldete er Osama Bin Laden in seinem Land, später befeuerte er den Krieg in der Region Darfur. Der Sudan steht seit Jahren auf der US-Liste der Terrorländer, er gilt den Amerikanern als Schurkenstaat. Baschir selbst wird als Kriegsverbrecher beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geführt, ihm droht eine Anklage wegen Völkermord.
Lange regierte der Präsident sein Land ohne Rücksicht auf Verluste, doch nun mimt er den Friedensapostel. Er hat plötzlich den JEM-Rebellen, der größten Widerstandsgruppe im umkämpften Darfur, weitreichende Zugeständnisse gemacht und sich auch mit dem Nachbarn Tschad verständigt, der den Rebellen als Rückzugsgebiet diente. Es soll Straffreiheit für über hundert JEM-Führungsleute geben, die Aufständischen sollen in die sudanesische Armee integriert und an der Regierung in Khartum beteiligt werden: Noch ist nichts unterschrieben, aber selten hat ein Regimeführer seine Politik in so kurzer Zeit dermaßen konterkariert.
Und selten stand ein Staatschef wohl auch so unter Druck. Ihm droht nicht nur die Abspaltung des Südens, ihm droht auch eine Wahlschlappe. Deshalb braucht er dringend Ruhe an der Front in Darfur.
In fünf Wochen, im April, soll im Sudan gewählt werden, zum ersten Mal seit 24 Jahren. Und in gut zehn Monaten, im Januar 2011, will der Süden in einem Referendum über seine Unabhängigkeit entscheiden. Wenn nicht alles täuscht, hat Afrika danach ein Land mehr auf der Landkarte. Wenn es gut läuft, wird das friedlich geschehen, wenn es schlecht läuft, wird die Sezession begleitet von einem neuen Krieg.
Europa interessiert sich nicht besonders für den Sudan. Er ist zwar das flächenmäßig größte Land des afrikanischen Kontinents, siebenmal so groß wie Deutschland, aber er ist wirtschaftlich schwach. Der Südsudan, das Armenhaus, ist nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg eine der elendsten Regionen der Welt. 85 Prozent der Menschen können weder lesen noch schreiben. Nirgendwo in der Welt ist die Müttersterblichkeit so hoch und der Zugang zu Primarschulen für Kinder so schwierig. Es gibt eine einzige Brücke über den Nil, keine funktionierende Verwaltung, keine Lehrer, keine Ärzte, keine Richter. Und die Polizei besteht im Wesentlichen aus Kämpfern, die viel von einer Kalaschnikow verstehen, aber wenig davon, wie ein Rechtsstaat funktioniert.
Der Krieg im Süden hat mindestens zwei Millionen Menschen das Leben gekostet, doppelt so viele wurden vertrieben. Die Vergangenheit ist ein Teil der Erklärung für den Konflikt – über Jahrhunderte hatten sich Araber aus dem Norden Sklaven aus dem schwarzafrikanischen Süden geholt. Die Religion – im Norden leben Muslime, der Süden ist von Christen und Animisten geprägt – ist ein weiterer Grund für den Zwist. Schon über viele Generationen hinweg fühlt sich der Süden vom Norden verachtet, vernachlässigt, ausgebeutet.
Und da ist der Streitpunkt Öl: Drei Viertel der Reserven liegen im Süden, transportiert aber werden sie über Pipelines nach Norden, auch den Verkauf organisieren Firmen und Politiker im Norden. 50 Prozent der Einnahmen, so sieht es der Friedensvertrag vor, müssen sie an den Süden abgeben. Milliarden hat der Norden seither überwiesen. 98 Prozent der Staatseinnahmen des Südens stammen aus dem Öl. Die Frage ist nur: Wo ist all dieses Geld geblieben? Denn so gut wie nichts davon kommt bei denen an, die es dringend brauchten.
Eigentlich, und das ist das Absurde an der Lage des Sudan, müsste dieser Teil Afrikas sehr reich sein. Und tatsächlich holpern durch Jubas Straßen Geländewagen mit getönten Scheiben, auch schöne Villen sind in der Hauptstadt des Südens entstanden. Schulen, Krankenhäuser oder Gerichtsgebäude sind dagegen in einem lausigen Zustand. Mindestens 40 Prozent der Gelder aus dem Staatshaushalt fließen direkt an die Staatspartei SPLM, die Sudanesische Befreiungsbewegung, und an die Soldaten der Befreiungsarmee SPLA. Wohl an kaum einem anderen Ort der Welt bereichert sich eine Regierungspartei hemmungsloser. Gerade mal acht Prozent des Haushalts bleiben fürs Bildungswesen, vier Prozent für den Gesundheitssektor.
Die Folgen sind überall zu besichtigen, beispielsweise im größten Krankenhaus von Juba, einem früheren britischen Militärlazarett. Direktor Isaak Makir, 46, sitzt in einem kleinen Büro am Schreibtisch und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Makir hat in Khartum und Kairo studiert, er weiß, was medizinisch möglich ist. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Aber sie stimmen nicht in seinem Haus. “700 Patienten haben wir jeden Tag hier”, sagt er, “aus dem ganzen Land kommen sie.” Aber er habe zu wenig Medikamente und zu wenig Betten, und von seinen knapp 60 Ärzten hätten allein in den vergangenen drei Monaten 20 gekündigt. Die Arbeit sei zu hart, das Gehalt zu niedrig, und obendrein kämen ständig neue Herausforderungen hinzu: “Schussverletzungen und immer mehr Verkehrsunfälle – die gab es früher nicht.” Nun arbeiten noch 36 Ärzte hier, rund um die Uhr. 2007 hat sich das Internationale Rote Kreuz aus dem Hospital zurückgezogen. “Seither kämpfen wir um die einfachsten Dinge”, sagt Makir. Wenn er sich etwas wünschen dürfte? “Ein Computertomograf würde helfen.”
Immerhin, eine schöne Küche hat das Hospital, sie wurde gespendet von den Chinesen, die vor drei Jahren das Haus renovierten. Doch die gewienerten Töpfe und Schüsseln, der Herd und die Kühlschränke blitzen ungenutzt vor sich hin. Nicht eine einzige Mahlzeit wurde bisher in der Küche zubereitet – weil es an Geld für die Lebensmittel fehlt. Wer im Krankenhaus von Juba liegt, muss sich von seinen Angehörigen verpflegen lassen.
150 Nichtregierungsorganisationen mit rund 1500 Helfern sind im Südsudan unterwegs, aber nichts geht ohne die Vereinten Nationen. Sie schaufeln jährlich 600 Millionen Dollar in den Süden, sie halten ihn mit einem Heer von Soldaten und Beratern zusammen. Die Uno stellt die Lastwagen bereit, bildet Polizisten aus, sie unterhält die größte Luftflotte des Landes. Nun soll sie auch noch helfen, die Wahlen im April zu organisieren.
David Gressly, 53, ein krisenerfahrener Amerikaner, ist Cheforganisator der Vereinten Nationen vor Ort. Er sitzt in einem klimatisierten Container am Rande des Flughafens von Juba, die Ärmel trägt er meist hochgekrempelt, der Container ist sein Büro. Einen wie Gressly schreckt nichts mehr. “Der Südsudan ist kein ,failed state'”, sagt er, “aber er ist ein Staat im Notstand.” Der Amerikaner kam zum ersten Mal 2004 nach Juba, als die Stadt nur aus der Luft erreichbar war und nicht mehr als 50 Autos auf den Straßen zu sehen waren. Heute leben 200 000 Menschen hier, und es gibt 10 000 Autos.
Der Süden war damals in sich gespalten, die Mehrheit der zehn Südprovinzen befand sich unter der Kontrolle des Nordsudan. “Wir hatten 26 bewaffnete Gruppen hier, und jede Zone hatte ihre eigene Währung”, sagt Gressly. “Heute sind die Warlords integriert, und es gibt eine Währung für das ganze Land.”
Ist damit nicht doch alles auf einem guten Weg? Tausende Kämpfer wurden in den vergangenen fünf Jahren entwaffnet oder in die südsudanesische Armee integriert. Es gibt in Juba die ersten Teerstraßen, es gibt manchmal Strom, es gibt Verhandlungen über den Grenzverlauf, und auch die Aufteilung der Ölgelder sorgt – offiziell zumindest – für wenig Aufregung. Dabei wäre ein wenig mehr Aufregung durchaus angebracht.
Interne Dokumente, die in Diplomatenkreisen in Khartum zirkulieren, belegen die flächendeckende Korruption bei den Ölgeschäften. Vor wenigen Monaten legte eine Studie der Nichtregierungsorganisation Global Witness offen, wie die Gelder versickern: Mal werden Abrechnungen mit falschen Weltmarktpreisen kalkuliert, mal liegen die Angaben der Regierung über die geförderten Mengen bis zu 25 Prozent unter den Zahlen der Ölfirmen; auch der Verbleib der Pipelinegebühren, die der Norden dem Süden berechnet, ist unklar.
64,2 Millionen Barrel sollen zum Beispiel im Jahr 2006 gefördert worden sein. Tatsächlich waren es aber 92,2 Millionen Barrel. Kontrolle? Dokumente? Fehlanzeige. In Khartum und Juba sind sämtliche Unterlagen über Preise, Zahlen und Statistiken zum Ölgeschäft Verschlusssache. Sogar die geduldige Weltbank befand, die Transparenz in Sudans Ölsektor sei “ungewöhnlich schlecht”.
Die Süd-Regierung beklagt den mangelhaften Zugang zu den Daten in Khartum, doch sie hat sich längst ihre eigenen Kanäle zur Bereicherung geschaffen. So gab sie an, in Khartum ein repräsentatives Gebäude erworben zu haben, für 3,5 Millionen Dollar. Das Gebäude gibt es ebenso wenig wie die 55 000 Armeeuniformen, die die Regierung für zehn Millionen Dollar gekauft haben will.
Überall verschwindet das Geld; einen großen Teil seiner Zahlungen an den Süden wickelt der Norden über die Schweiz ab. Unterlagen eines einzigen Transfers belegen, dass auf einem Genfer Konto zwar 165,9 Millionen Dollar ankamen, beim Finanzminister in Juba am Ende aber nur noch 157,4 Millionen Dollar. Experten vermuten, dass seit Abschluss des Friedensabkommens insgesamt mehrere hundert Millionen Dollar in private Taschen abgezweigt wurden.
Seit fünf Jahren gibt es nun den Friedensvertrag, aber keinen richtigen Frieden. An die 2500 Menschen kamen im vergangenen Jahr im Südsudan bei Kämpfen ums Leben, deutlich mehr als in Darfur. Sie starben bei Stammeskonflikten, bei Streitigkeiten ums Wasser und beim Viehraub. Erst vor zwei Wochen verloren bei Schießereien 30 Menschen ihr Leben.
Die Voraussetzungen für einen guten Start des Südens in die Unabhängigkeit sind denkbar schlecht. Es fehlt an Bildung, an Kapital, an Arbeitsmoral. Im Südwesten, einer reichen Mango-Gegend, verfaulen die Früchte am Boden – weil sie nicht geerntet werden. Die erfolgreichen Geschäftsleute in Juba kommen aus Somalia, Kenia oder Uganda, aber nicht aus dem Sudan. Wer Arbeitskräfte braucht, wirbt sie in den Nachbarländern an.
Unter diesen Bedingungen soll nun gewählt werden. Bis zu zwölf Kreuze müssen die Wähler machen – für Politiker und Parteien, die sie nicht kennen, und für Programme, die sie nicht verstehen. In einem Land der Analphabeten, in einer Region fast ohne jede Infrastruktur und in einer Kultur, die Häuptlinge und Chiefs kennt, aber keine Demokratie.
125 Container mit Wahlunterlagen müssen allein in die Wahllokale des Südens gebracht werden – über ausgefahrene Pisten, unbekannte Wege, in namenlose Siedlungen. “Keiner weiß, wie wir das rechtzeitig schaffen sollen”, sagen Logistiker in Juba.
Vor einem halben Jahr noch galt es als ausgemacht, dass Umar al-Baschir trotz seiner Unbeliebtheit die Wahlen für sich entscheiden würde. Kein Gegenkandidat war in Sicht, und im Norden, der Bastion des Präsidenten, leben über 70 Prozent der Wähler. Dann aber tauchten mehrere, auch ernstzunehmende Kontrahenten auf, und weit mehr Wähler als erwartet ließen sich registrieren – Baschirs Nationale Kongresspartei wurde nervös.
Sollte es eine zweite Wahlrunde geben, gilt als sicher, dass Baschir den Ausgang zu seinen Gunsten hinbiegen wird. Die Beobachter der EU, der Afrikanischen Union, aus den USA und China können fehlerhaftes Auszählen und Addieren beobachten und notieren, verhindern können sie es nicht.
Die wichtigste Frage aber wird sein: Hält der Frieden? Bisher haben sich Norden und Süden in den Regionen Abyei und Kordofan nicht über den präzisen Grenzverlauf einigen können. In Abyei aber liegen die größten Ölreserven des Landes. Umstritten ist auch das Ergebnis der letzten Volkszählung. Keiner weiß genau, wie viele Menschen im Südsudan leben. Davon hängt jedoch die Anzahl der Parlamentarier und der Minister ab.
Beim Uno-Sicherheitsrat liegt seit Januar ein alarmierender Bericht über die Lage im Südsudan. Ein Baschir-Berater drohte vor kurzem sogar offen mit Krieg, sollte die Grenzfrage bis zum Referendum nicht geregelt sein.
So taumelt das Land einer Wahl, einer Spaltung und womöglich einem weiteren Konflikt entgegen. “Sie wollen ihn nicht – aber beide sind für einen Krieg gewappnet”, sagt Helfer Gressly in seinem Büro in Juba: “Es wird das Jahr der Entscheidung für den Südsudan.”
Quelle: Der Spiegel