Bedrohte Wahlfreiheit im Sudan
Freie Wahlen im Sudan?
Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Freie Wahlen im Sudan?
Es ist die erste Mehrparteien-Wahl seit 1986 im Sudan. Ob sie frei und fair ist, werden die nächsten Wochen entscheiden. Ob sie dem Sudan zu mehr Stabilität verhilft, wird aber erst ein Referendum 2011 zeigen.
Ein Stapel von Wahlzetteln erwartet jeden der 16 Millionen registrierten Wähler am 11. April im Sudan. Bei ihrer ersten Wahl seit 1986 müssen die Bürger sich an einem Tag acht Mal entscheiden. Gewählt werden sollen der neue Präsident, die Nationalversammlung und die Gouverneure und Parlamente der Bundesstaaten. In der semi-autonomen Region Südsudan werden dazu noch ein Regionalpräsident und ein Regionalparlament eingesetzt. Und all das unter Anwendung verschiedenster Wahlverfahren, Abstimmungsmodi und Sonderregelungen.
Die wohl verworrenste Wahl der Welt
Schon ein reiches, industrialisiertes Land hätte wohl seine liebe Mühe, eine solche Wahl überhaupt logistisch durchzuführen. Im Sudan, einem Land, das eine über lange Geschichte des Bürgerkriegs zwischen dem muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen Süden hat, ist einiges noch viel komplizierter. Ein Großteil der Bevölkerung kennt keine Wahlen, die Zahl der Analphabeten ist überbordend hoch. In der sudanesischen Region Darfur sind nach UN-Schätzungen noch immer 2,3 Millionen Flüchtlinge in Lagern. Und bei der Vorbereitung der Wahlen gibt es erste Hinweise auf Wahlbetrug: Oppositionsparteien aus dem Südsudan beklagten jüngst gefälschte Wählerlisten und die existierenden Medien werden strikt zensiert. Dennoch kein Grund, die Wahlen abzusagen, sagt Christoph Strässer von den Sozialdemokraten: “Es gibt viele, die noch nie ihre eigene Zukunft durch eine Wahl mitbestimmen konnten. Und wenn wir denen jetzt sagen, es ist schwierig, deshalb helfen wir euch nicht, dann enttäuschen wir diese Menschen und verspielen ihre Zukunft.” Das von den USA finanzierte Carter Center hatte jüngst vorgeschlagen, die Wahlen aus Sicherheitsgründen zu verschieben. Selbst Teile der Oppositionsparteien hatten für eine Verschiebung plädiert.
Nicht zuletzt, weil Sudans Präsident Omar al-Baschir noch immer mit eiserner Hand regiert. Der Mann, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) wegen Kriegsverbrechen gesucht wird, drohte jüngst Wahlberichterstattern: Wenn sie sich zu sehr in Sudans innere Angelegenheiten einmischten, “dann werden wir ihnen die Finger abschneiden und sie unter unseren Schuhen zerquetschen.” Einschüchterungen, denen Deutschland und die EU entschieden entgegnen treten müssen, sagt Kerstin Müller von den Grünen: “Wir werden nicht zulassen, dass das eine Wahlshow für Baschir wird.” Der Haftbefehl gegen ihn müsse, auch um die Legitimation des ICC nicht zu beschädigen, umgesetzt werden: “Er muss sich Den Haag stellen.”
China schickt Wahlhelfer – und was schickt Europa?
Doch wo bleibt das konkrete deutsche Engagement, fragt sich Christdemokrat Johannes Selle. Und das vor allem, weil die aufstrebende Weltmacht China bereits Wahlhilfen für den Sudan zugesagt hat. Insgesamt 10 Millionen investiere China allein in Wahlbeobachtung, zehn chinesische Wahlbeobachter und technisches Gerät seien vor Ort. “Deutschland und Europa sollten sich in Sachen Demokratie nicht von China übertreffen lassen”, gab Selle zu bedenken. Das gelte auch im Blick auf das Jahr 2011. Dann soll auf die Wahlen ein Referendum folgen, in dem entschieden wird, ob der Süd-Sudan sich ganz vom Rest des Landes loslösen wird. Diese Vereinbarung rührt aus dem am 9. Januar 2005 geschlossenen Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement), in dem Nord- und Südsudan sich auf einen genauen Ablauf einer staatlichen Neuorganisation verständigen konnten. Dem Referendum werden Fragen der Staatsangehörigkeit, der Entwaffnung der Militärs und dem Aufbau neuer militärischer Strukturen folgen. Ein Prozess, der von der UN-Mission im Südsudan (UNMIS) begleitet werden dürfte, aber selbst mit 8.500 Blauhelm-Soldaten keineswegs unter Kontrolle sein wird. “Es muss klare Vorgaben geben für den Fall, dass der Südsudan sich abspaltet”, sagt daher Marina Schuster von den Liberalen.
Für Niema Movassat von der Linkspartei ist die Art und Weise, wie Deutschland über die Zukunft des Sudans debattiert, bedenklich, ja verquer. Der vom Bundestag ausgehende Aufruf an die deutsche Bundesregierung, sich stärker für den Sudan und dessen Stabilisierung einzusetzen, entspringe rein ökonomischem Kalkül. All das wolle nur die Abspaltung des ölreichen Südsudans unterstützen, so Movassat. Sein heftig umstrittenes Beispiel: die deutsche Entwicklungsorganisation Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). “Wenn die GTZ im Südsudan ein Programm zum Staatsaufbau durchführt, wenn sie Straßen baut, die den Südsudan vor allem mit Kenia verbindet, anstatt mit der Hauptstadt Khartum, und wenn gleichzeitig der Nordsudan in der Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt wird, dann trägt Deutschland dazu bei, dass die Abspaltung vorangetrieben wird.”
Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Carolin Hebig