Afrikanische Erfolgsgeschichte
Ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land steht erstmals seit fast einem Vierteljahrhundert vor einer Mehrparteienwahl. Für den Westen bleibt Sudan dennoch ein Paria-Staat
Wir haben uns daran gewöhnt, Afrika immer nur zu kritisieren. Es dagegen auch einmal zu feiern, fällt schwer. Man kann es nur diesem Umstand zuschreiben, dass der Westen ein wahrlich bemerkenswertes Ereignis bislang geflissentlich übersieht. Wenn nicht in letzter Minute noch eine Katastrophe passiert, werden die Sudanesen im April einen Präsidenten, ein Parlament, Regionalgouverneure und eine Regierung für den halbautonomen Süden des Landes wählen – das Votum stellt eine beachtliche historische Wegmarke dar.
Es handelt sich um die erste Mehrparteienwahl im Sudan seit fast einem Vierteljahrhundert, sie folgt auf bittere Jahre des Bürgerkrieges zwischen Nord und Süd und mehreren regionalen Konflikten – man denke an Darfur. Die Wahl findet statt, obwohl der Westen sich gegenüber der Regierung in Khartum immer feindseliger verhält und gegen Präsident Omar al-Bashir vor dem Internationalen Gerichtshof Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben wurde. Auch wenn das Votum für den größten Flächenstaat Afrikas eine enorme politische und logistische Aufgabe stellt, scheint bislang alles gut zu gehen.
Nichtangriffspakt mit dem Tschad
Ein wichtiger Schritt bestand in einem vorläufigen Friedensvertrag, der im vergangenen Monat zwischen der Regierung und der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) unterzeichnet wurde – der größten bewaffneten Fraktion in Darfur. Nach wie vor sind nicht alle Differenzen ausgeräumt, denn die Rebellen wollen mit den Wahlen warten, bis der Vertrag endgültig unter Dach und Fach ist. Was nichts daran ändert, dass jetzt für die lange leidenden Darfuris die Möglichkeit besteht, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden.
ANZEIGEEin zweiter Umstand, der einen reibungslosen Verlauf der Abstimmung begünstigt, ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen Sudan und dem Tschad. Beide Länder boten lange Zeit Rebellen Unterschlupf, von denen die jeweils andere Regierung bekämpft wurde. In einer von Pragmatismus geprägten, aber um so mehr dramatischen Kehrtwende reichte Tschads Präsident Idriss Déby Anfang Februar Staatchef al-Bashir in Khartum die Hand und besiegelte damit quasi einen Nichtangriffspakt. Déby hatte dabei eigene Gründe für ein Entgegenkommen. Auch er muss sich 2010 einer Parlamentswahl stellen und möchte zuvor gern UN-Truppen los werden, die Flüchtlinge im Osten des Landes beschützen sollen – für Déby ein wenig hilfreicher Eingriff in innere Angelegenheiten seines Landes. Al-Bashir für seinen Teil möchte der internationalen Kritik entgegenwirken, indem er sein Versprechen erfüllt, Darfur weiter zu befrieden. Doch nicht allein der sudanesische Westen erschüttert die Integrität des Landes – auch die nicht unwahrscheinliche Sezession des Südens dürfte Khartum beschäftigen. Das im kommenden Jahr vorgesehene Referendum über eine vollständige Selbstverwaltung könnte die Trennung von diesem Landesteil besiegeln.
Da die dank eines Friedensabkommens von 2005 gebildete Regierung des Südsudan ein großes Interesse daran hat, die Vorbereitungen für das Plebiszit im Januar 2011 ohne Verzögerungen fortzusetzen, verliefen Wahlvorbereitungen und Wahlkampf bislang weitgehend reibungslos. Seit 2005 sind al-Bashirs regierende Nationale Kongresspartei (NCP) und die von Salva Kiir geführte Volksbefreiungsbewegung in der autonomen Provinz Südsudan (SPLM) in einem für beide Seiten unbefriedigenden Abkommen gefangen. Jetzt haben sie zum ersten Mal ein gemeinsames Ziel vor Augen.
„SPLM und NCP haben hart über viele bilaterale Themen verhandelt. Da sie ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Votum konzentrieren wollen, gelang es ihnen, in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Entscheidungen zu treffen“, meint der Sudan-Experte Alex de Waal. „Dies zeigt, dass sie, wenn nötig, kooperieren können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden Parteien fähig sein werden, die Rahmenbedingungen für das Referendum und das darauf folgende Prozedere auszuhandeln, ohne dass es zu einer Katastrophe kommt.“
Zugeständnisse von al-Bashir
Befürchtungen, die Anklage gegen al-Bashir vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Darfur könnte den Fahrplan für die Wahlen gefährden und das Land weiter destabilisieren, erwiesen sich als unbegründet. Auch wenn der Präsident in den Augen einiger Beobachter geschwächt scheint, verstand er es doch, die Anklage zu nutzen, um eine Gefolgschaft hinter seiner Fahne zu versammeln. Auf der anderen Seite leidet der Ruf von Chefankläger Luis Moreno-Ocampo durch das Verfahren gegen Bashir gewaltig. Ihm wird vorgeworfen, den Bogen weit überspannt zu haben.
Die NCP betreibt unter diesen Umstänen einen pragmatischen, nationalistischen Wahlkampf und betont den Wert wirtschaftlichen Wachstums. Es wird weithin erwartet, dass sie als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen wird und al-Bashir das Land weiter führen kann. Sollte sich diese Prophezeiung erfüllen, dann auch weil Letzterer eine unerwartet konziliante Haltung zur absehbaren Separation des Südens an pflegt. Auf Meetings im Süden ließ er wissen, persönlich würde den Sudan zwar auch künftig lieber vereint sehen, wenn sich die Menschen im Süden aber für eine Sezession entscheiden sollte, werde er der erste sein, der ihre Unabhängigkeit anerkenne.
Doch es bleiben noch genügend Hürden, die genommen werden müssen, damit die Wahlen erfolgreich verlaufen. In Darfur wurden durch die jüngsten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der sudanesischen Befreiungsarmee von Abdul Wahid al-Nur Zehntausende vertrieben. Die Zusammenstöße erinnerten daran, wie fragil ein Frieden dort nach wie vor ist. Differenzen zwischen Nord und Südsudan über die Teilung der Ölvorräte, Fragen des Staatsbürgerschaft und dem Umgang mit Daten aus der Volkszählung sind nach wie vor ungelöst und könnten die Stimmung schnell wieder aufheizen.
Übersetzung: Holger Hutt
Quelle: Afrikanische Erfolgsgeschichte