Sudan

Das Morden in Darfur geht weiter

Es liegt an Europa, die Herrscher in Khartum zur Vernunft zu bringen

Von Werner A. Perger für ZEIT.de

   
 
 

Der Aufwand war beträchtlich, doch leider scheint der Ertrag vergleichsweise gering zu sein. Der Weltsicherheitsrat ist für zwei Tage von New York in die kenianische Hauptstadt Nairobi gekommen - kein alltäglicher Ausflug. Demonstrativ wollte das Leitungsgremium der UNO auf afrikanischem Boden die brisante Lage im bürgerkriegerischen Sudan diskutieren. Aber wirklich näher ist man einer Befriedung nicht gekommen. Vor allem geschieht nichts Substantielles für eine Verbesserung der Lage in der westsudanesischen Provinz Darfur.

Dazu bedürfte es einer erheblichen Verstärkung des internationalen Drucks auf die Regierung in Khartum. Für entsprechende Resolutionen des Security Council fehlt jedoch der Konsens. Vor allem die von den Europäern - nicht zuletzt auf Drängen von Menschenrechts- und humanitären Organisationen wie Human Rights Watch und Ärzte ohne Grenzen - gewünschte Androhung eines Waffenembargos gegen den Sudan ist vorerst nicht durchsetzbar. China, Russland, Pakistan und Algerien haben andere Interessen. Westliche Diplomaten wie der deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger trösten sich über dieses Zeichen mangelnder Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen mit dem Argument hinweg, ein Land im permanenten Kriegszustand finde immer Wege, ein solches Embargo zu unterlaufen. Wozu sei eine solche Resolution also nütze? So elegant kann Frustration daher kommen.

Hoffnungen richten die Gäste in Nairobi darauf, dass der seit 21 Jahren währende Krieg zwischen dem muslimisch-arabischen Norden und dem christlich-afrikanischen Süden des Sudan nun doch in absehbarer Zeit beendet werden könnte. Die entsprechenden Abkommen von Naivasha, benannt nach der kenianischen Stadt, in der sie zwischen der sudanesischen Regierung und der südsudanesischen Rebellenorganisation Sudan People's Liberation Movement/Army (SPLM/A) seit Juni 2002 verhandelt worden waren, sind allerdings noch nicht vollständig. Noch fehlt Einigkeit über Details zur Ausgestaltung der Autonomie des Südens, zur Mitwirkung in der Zentralregierung, vor allem aber über die Verteilung der Einnahmen aus den Rohstoffexporten, was schließlich ein wesentliches Motiv für den nur zum Teil religiös motivierten Dauerkrieg war. Über die Zukunft des Friedensarrangements wird am Ende die Praxis entscheiden.

Eine entscheidende Rolle wird dabei vor allem die weitere Entwicklung des Konflikts im Westen spielen. Niemand sollte das "Spill-over-Potential" des Darfurkonflikts auf den ganzen Sudan unterschätzen, sagt die Europadirektorin von Human Rights Watch, Lotte Leicht. Wenn die Zentralregierung weiterhin die Politik der ethnischen Säuberungen durch arabische Reitermilizen im Westen unterstütze oder auch nur dulde, werde die Rebellion in Darfur weiter gehen, der Konflikt eskalieren und damit destabilisierend auf das ganze Land wirken. Die aktuelle Friedensregelung zwischen Khartum und dem Süden würde eine solche Belastung nicht lange ertragen. Um so wichtiger sei es für Europa, Khartum zur Kursänderung zu zwingen, zugleich die Darfur-Rebellen zu Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen und damit die Befriedung des Westsudans zu ermöglichen. Das müsse Europas eigenes Interesse sein. Denn ein von Darfur aus erneut destabilisierter Sudan würde den Migrations- und Asylbewerberdruck auf Europa alsbald deutlich verstärken.

Die Bundesregierung sieht das ähnlich. Im Sicherheitsrat war es vor allem Deutschland, das die Darfur-Frage immer wieder zur Debatte stellte, sehr zum Ärger der Regierung in Khartum. In Nairobi machte nun die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen), kein Hehl daraus, dass sie der sudanesischen Zentralregierung nicht über den Weg traut. Nach den ihr zu Verfügung stehenden Informationen unterstützt die moslemische Zentralregierung nach wie vor die so genannten Janjaweed-Milizen und deren Vertreibungspolitik im afrikanischen Westen. Die von der UN geforderte Entwaffnung dieser Einheiten, die über eine Million Menschen mit brutalem Terror aus deren Wohnorten vertrieben und damit das größte afrikanische Flüchtlingsdrama des neuen Jahrhunderts ausgelöst haben, hat bisher nicht stattgefunden. Im Gegenteil. Zum Teil arbeiten offizielle Polizei und Milizen weiterhin zusammen. Oder die Janjaweed-Einheiten werden in die offiziellen Sicherheitskräfte integriert und damit als legale Sicherheitskräfte getarnt.

Staatsministerin Müller räumt ein, dass diese Komplizenschaft von Khartum bestritten werde, ist aber gleichwohl überzeugt: "Das läuft weiter." Im Telefongespräch aus Nairobi sagte sie am Rande der Nairobi-Konferenz des Sicherheitsrats: "Die Sicherheitslage in Darfur hat sich weiter verschlechtert, trotz der Zusagen der Regierung, keine Bombenangriffe mehr gegen die Zivilbevölkerung zu fliegen. Das ist völlig unakzeptabel." Ob man dabei von "ethnischer Vertreibung" (ethnic cleansing) spreche, wie die Bundesregierung, oder von Völkermord, wie einige humanitäre Organisationen, sei unwichtig. "Uns nützt kein Streit um Begriffe, während Menschen dort umkommen", sagte sie. So oder so falle das Geschehen in Darfur in die Verantwortung der Völkergemeinschaft. Die Staatsministerin sprach zugleich von Informationen der Bundesregierung darüber, dass es auch in den von den afrikanisch-muslimischen Rebellen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen komme. "Auch die Rebellen müssen die Waffenstillstandsvereinbarungen einhalten", sagte sie.

Eine Schlüsselrolle kommt nach Ansicht der Staatsministerin der Afrikanischen Union (AU, vormals OAU) zu, die in Darfur mit Beobachtern und auch mit Polizeieinheiten für eine Stabilisierung sorgen will. Die Bundesregierung will diese Bemühungen durch Bereitstellung von Transportkapazitäten (Transall-Maschinen mit rund 200 Bundeswehrsoldaten) unterstützen. Die dafür notwendige Abstimmung im Bundestag findet in den nächsten Tagen statt. Ob allerdings eine multinationale afrikanische Einsatzgruppe von vorerst kaum mehr als 5000 Mann in einem Gebiet von der Größe Darfurs dafür garantieren kann, dass über eine Millionen Menschen in ihre - zum teil zerstörten - Siedlungen und Anbaugebiete zurückkehren und dort sicher wird leben können, beurteilen Kenner der Lage eher skeptisch.

Kerstin Müller wird zwar recht haben mit der Einschätzung, dass dies die erste große Bewährungsprobe der Afrikanischen Union sein wird. Man kann auch verstehen, dass sie diplomatisch sagt: "Wir können nicht jetzt schon sagen, die Afrikaner sind gescheitert, wo sie noch gar nicht richtig angefangen haben." Deshalb wirbt sie auch um Verständnis dafür, dass die AU sich gerade von den ehemaligen Kolonialmächten nicht allzu sehr bei dieser Aufgabe helfen lassen will.

Doch andere, die nicht diplomatisch sein müssen und die Lage ungeschminkt beschreiben können, beispielsweise Lotte Leicht von HRW, sehen die Verantwortung vor allem bei den Europäern: "Sie müssen die Afrikaner davon überzeugen, dass sie mehr Hilfe brauchen." Polizisten und Beobachter in den Flüchtlingslagern, so wichtig sie da sind zum Schutz gegen Übergriffe durch marodierende Janjaweed-Kohorten, seien nicht genug. Vor allem an ihren Wohnorten müssten die Heimkehrer geschützt werden. Erst wenn sie dort sicher seien, komme das Land zum Frieden. Und dafür bräuchten die Helfer - neben einer ernsthaften Kooperation des sudanesischen Sicherheitsapparats - ungleich mehr eigenes Personal. Vor allem gut ausgebildete Polizeieinheiten.

Und noch eins: Europa - und die UNO - müssten den Herrschern in Khartum glaubwürdig vermitteln, dass sie für die Menschenrechtsverletzungen in Darfur eines Tages zur Verantwortung gezogen werden. Sie sollten wissen: Der Internationale Strafgerichtshof wartet auf sie. "Das ist denen nicht egal." Sofern die Drohung ernst genug ist. Da müssen die Europäer und die UNO aber noch nachlegen.

(c) ZEIT.de

Quelle: http://www.zeit.de/2004/48/darfur